PFAS in Mittelbaden - eine unendliche Geschichte

PFAS in Mittelbaden - das ist die Geschichte eines Skandals mit unklarem Anfang und offenem Ende. Dazwischen stehen viele Fragen: wieso passiert scheinbar so wenig, was macht man, um die Chemikalien aus dem Boden zu bekommen, muss ich mir Gedanken um meine Gesundheit machen und sind wir eigentlich allein mit dem Problem? (Update 15.1.2024, s.u.)

Wenn man durch das Oberrheintal zwischen Rastatt und Bühl fährt, ist nicht zu erkennen, dass man sich in der Region des „flächenmäßig größten Umweltskandals „der letzten Jahre befindet, wie es die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung bereits 2016 genannt hatte.  Aber auf den Ackerböden liegt eine brisante Mischung von Umweltgiften, die von dort aus unaufhaltsam in das Grundwasser sickern. Mit den Folgen davon werden sich noch die folgenden Generationen beschäftigen müssen. 

Die Ursache der großflächigen PFAS-Belastung in Mittelbaden ist nach heutigen Erkenntnissen auf die Aufbringung von mutmaßlich PFAS-haltigen Papierschlamm-Kompost-Gemischen auf die Felder zurückzuführen. Ein Komposthändler aus der Region hatte Papierschlämme aus 14 verschiedenen Papierfabriken angenommen, nachgewiesen wurden 106.000 Tonnen in den Jahren 2006-2008. Darunter waren auch Recyclingschlämme, was damals wie heute gegen die geltende Bioabfall- und Düngemittelverordnung verstieß.

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sind fett-, wasser- und schmutzabweisend, Tapeten werden dadurch beispielsweise imprägniert und Verpackungen von Nahrungsmitteln und Tierfutter fettdicht. Das Fraunhofer-Institut in Freising fand verschiedene PFAS in Butterwicklern, Backpapieren, Käseverpackungen, Butterbrotpapieren, Faltschachtelkartons und Fastfood-Verpackungen. Was aber nun in „Papierschlamm-Form“ als vermeintlicher Dünger auf Mittelbadens Feldern landete, lässt sich nicht genau sagen.

Auf jeden Fall blieb diese brisante Mischung nicht nur auf den Äckern, sondern verteilte sich im Grund- und Trinkwasser. Erst Ende 2012 entdeckten die Stadtwerke Rastatt bei einer Routinekontrolle PFAS im Rohwasser des Wasserwerkes in Rauental. Weitere Kontrollen bestätigten den Befund und die Untersuchungen von Boden, Wasser und Lebensmitteln liefen an. Die Ergebnisse waren nicht erfreulich und der Landkreis sah sich 2013 nach der Meldung durch die Stadtwerke mit einem PFAS-Problem konfrontiert, das immer größer wurde, je mehr man untersuchte.

Großflächige Verteilung in Boden und Grundwasser

Bis heute sind in Mittelbaden von 10.162 Hektar Ackerland 1105 Hektar mit PFAS belastet, das entspricht in etwa 1500 Fußballfeldern. Man geht davon aus, dass ungefähr 1000 bis 5000 Kilo PFAS im Boden sind. Die Stadtwerke Rastatt rechnen mit einer Gesamtfläche des oberflächennah belasteten Grundwasserkörpers von rund 58 Quadratkilometer (5.500 ha), was der Fläche des Starnberger Sees entspricht. Das Gesamtvolumen des belasteten Grundwassers wird mit mindestens 180 Millionen Kubikmeter angegeben. Man hat 4500 Bodenproben genommen und 4500 PFAS Analysen im wässrigen Extrakt und 2950 Analysen vom Boden selbst durchgeführt. Weiter wurden 750 Grundwasserbrunnen untersucht und 7200 PFAS-Analysen im Wasser vorgenommen. Alles wurde digital erfasst (GIS) und Karten und ein Grundwassermodell erstellt.

Mit der Bearbeitung sind neben dem Landratsamt Rastatt (LRA) die Stadt Baden-Baden, das Regierungspräsidium Karlsruhe, die Stabsstelle PFC, die Landesanstalt für Umwewlt Baden-Württemberg (LUBW), das Technologiezentrum Wasser, das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg, das Landwirtschafts-, das Umwelt- und das Sozialministerium sowie das Landesgesundheitsamt betreut.

Der PFAS-Skandal wird umfangreich gemanagt, da eine Sanierung der belasteten Böden nicht möglich und nicht finanzierbar ist. Die Trinkwasserversorger reinigen das Trinkwasser und die Landwirtschaft wird kontrolliert. Die Verwendung der Beregnungs- oder Gartenbrunnen ist in bestimmten Gebieten geregelt oder sollte vermieden werden; Angelseen sind ebenfalls belastet. In Blutuntersuchungen wurden PFAS auch im Blut der Mittelbadener nachgewiesen, die Tendenz ist aber wohl aufgrund der Gegenmaßnahmen fallend.

Baugebiete können betroffen sein und die Frage der Verwendung von PFAS-Böden muss geklärt werden.  In den Abläufen der Kläranlagen kann man PFAS messen, deswegen rüsten die großen Kläranlagen mit der vierten Reinigungsstufe nach, um die Chemikalien herauszufiltern.

PFAS in Mittelbaden: Übersichten über die Entwicklungen der letzten zwölf Jahre

Die Entwicklungen in Sachen PFAS in Mittelbaden sind nach zwölf Jahren immer noch in einem ständigen Fluss und mittlerweile eine Mischung aus angewandten Erkenntnissen und neuen Forschungsergebnissen. Wenn man die Entwicklungen nachvollziehen möchte, kann man das am ehesten in den Übersichtsartikeln in den Heimatbüchern des Landkreises Rastatt (2018 und 2020), in den Dokumentationen in den Badischen Neuesten Nachrichten (BNN, 2016 und 2018)  sowie natürlich ausführlich in den beiden PFAS-Übersichtsbroschüren auf dieser Seite machen. Eine Kurzversion gibt es in der Zeitschrift AnalytikNews: Der "Rastatt-Case"- PFAS für Generationen (2023).

Und für einen aktuellen Überblick über das letzte Jahr können Sie einfach hier weiterlesen:

PFAS in Mittelbaden: Jahresrückblick 2023

Ewige Gifte in Böden, Wasser und Blut, warum gab es auch 2023 keine Lösung? Und was haben Kühe, Kohlmeisen und Skiwachse damit zu tun?

 

Das Jahr 2023 begann, wie 2022 geendet hatte – mit PFAS in Boden und Wasser, Managementmaßnahmen in der Landwirtschaft, Einschränkungen bei Feld- und Gartenbewässerung, Reinigung des Trinkwassers, viel Forschung und einer verbesserten Kommunikation für die Betroffenen. 
Folgen der Belastung sind unter anderem: Managementmaßnahmen, hohe Kosten, Bluttests, Forschung, Kooperation und Kommunikation (PFAS-Broschüre & PFAS-Newsletter).

    Kosten:                                30-40 Millionen auf der nach oben offener Skala
    Zahlt der Verursacher?     Nein, natürlich nicht.
    Dauer des Skandals:         Frühe 2000er Jahre bis in die nächsten Generationen?

 Der Jahresrückblick 2023 ist als Blog-Beitrag hier nachzulesen: https://pfas-dilemma.info/aktuelles/71-pfas-jahresrueckblick-2023 

Bis zum Jahr 2022: Mittelbaden ist einer von fünf bekannten Hotspots in Deutschland

Die PFAS-Belastung in Mittelbaden gehörte bis zum Jahr 2022 zu den bis dahin bekannten fünf  PFAS-Hotspots in Deutschland (Flughafen Düsseldorf, Hochsauerlandkreis (Arnsberg, Möhnetalsperre), Bundeswehrflughafen Manching, Chemiepark Gendorf) und ist Teil einer globalen Belastung von Boden, Wasser und Luft mit den fluorierten Chemikalien. Manchmal hervorgerufen durch Aufträge auf die Böden wie bei uns in Mittelbaden oder durch Chemiewerke wie in Gendorf in Bayern oder manchmal auch eng begrenzt durch den Einsatz von PFAS-haltigen Feuerlöschschäumen wie es an praktisch allen Zivilflughäfen der Fall ist, wie auch am Baden-Airpark. Auch die Bundeswehrstandorte sind quasi flächendeckend betroffen.  Fachleute suchen europa- und weltweit nach Lösungen sowie nach Regulierungen der Chemikaliengruppe. Auch dazu finden Sie ausführliche Informationen in den PFAS-Broschüren (s.o.).

Seit Februar 2023: Mittelbaden ist eine von 1.500 Belastungen in Deutschland

Am 23. Februar stellte ein internationales Journalisten-Team das Ergebnis der monatelangen Recherchen des Forever Pollution Projects vor: In Deutschland sind rund 1.500 Stellen und europaweit an die 20.000 Stellen mit PFAS belastet, Mittelbaden ist nur eine davon.

"Die Journalisten sammelten 100 Datensätze und reichten Dutzende von FOIA-Anträgen ein, um eine einzigartige Karte der PFAS-Kontamination in Europa zu erstellen, ähnlich, wie es sie für Amerika oder Australien schon länger gibt.

"Etwas Ähnliches hat für Europa gefehlt", sagte Martin Scheringer, Experte für Umweltchemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (Schweiz). "Ihr Beitrag ist daher äußerst wichtig und wertvoll."

Das Projekt zeigt, dass es in Europa 20 Produktionsstätten und mehr als 2 100 Standorte gibt, die als PFAS-Hotspots betrachtet werden können – Orte, an denen die Kontamination ein Niveau erreicht, das als gesundheitsgefährdend für exponierte Personen angesehen wird. Das Problem: Es ist extrem teuer, diese Chemikalien loszuwerden, wenn sie erst einmal in die Umwelt gelangt sind. Die Kosten für die Sanierung werden voraussichtlich zweistellige Milliardenbeträge erreichen. Vielerorts haben die Behörden bereits aufgegeben und beschlossen, die giftigen Chemikalien im Boden zu belassen, weil es nicht möglich ist, sie zu reinigen."(übersetzt aus https://foreverpollution.eu/ )

Wenn man in die interaktive Karte hineinzoomt, die das Team dort zusammengestellt hat, sieht man in Deutschland eine Häufung der Fälle entlang des Rheins und in Mittelbaden die bekannten und vermuteten PFAS-Belastungen.

Die aktuellen PFAS-Entwicklungen der Region Mittelbaden werden, wie schon gesagt, in den PFAS-Broschüren und dem PFAS-Blog hier auf diesen Seiten und auch in dem PFAS-Newsletter des Landratsamtes in Rastatt oder bei der Stabsstelle PFC am Regierungspräsidium in Karlsruhe aufgegriffen. 

 

 

Mittelbadens PFAS-Belastung Thema bei internationalem OECD Global PFAS-Forum (12. / 13.2.2024)

Was hat Mittelbaden mit Flandern, Dordrecht, Norditalien oder Michigan gemeinsam? Sie alle haben eine mehr oder weniger ausgeprägte Belastung mit PFAS (per- und polyfluoralkyl Substanzen) vorzuweisen. Unser Fall hat dabei eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt, da unsere Art der Bodenbelastung so kompliziert ist. Bei dem internationalen OECD Global PFAS-Forum am 12. und 13. Februar wurde der „Rastatt-Case“ deswegen als Beispiel vorgestellt.

Präsentation von Karte


Mittelbadens PFAS-Belastung Thema im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages (24.04.2024)

Die Debatte um Beschränkung oder Verbot von Per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) im Umweltausschuss am Mittwoch, 24. April 2024, hat deutlich gemacht, wie weit die Vorstellungen der Umweltvertreter und denjenigen aus der Industrie auseinander liegen. Sollen PFAS verboten werden? Die industriell hergestellten organischen Verbindungen sind zwar sehr widerstandsfähig, und ohne sie würden viele Alltagsgegenstände wie Outdoorbekleidung, Handys und Pfannen nicht auskommen. Jedoch sammeln sich die Rückstände weltweit in Pflanzen, Böden, Wasser und Lebewesen an, und sie gelten als gesundheitsgefährdend. Oder sollten die Vorteile der PFAS gegen die Gefahren abgewogen werden, wie es ein Antrag (20/9736) der CDU/CSU-Fraktion unter dem Titel „Vorteile von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) weiter nutzen - Wertschöpfung erhalten - Gesundheit und Umwelt schützen“ fordert? Darüber diskutierte der Umweltausschuss am Mittwochvormittag in einer öffentlichen Anhörung. Die Debatte zeigte einmal mehr, dass sich die Argumente aus dem Lager der Umweltvertreter mit denen aus dem Unternehmerbereich nur schwer in Übereinstimmung bringen lassen. (Auszug aus der Pressemitteilung des Umweltausschusses).

Reiner Söhlmann, der Leiter der PFAS-Geschäftsstelle am Landratsamt in Rastatt stellte die hiesige Belastung in Berlin vor und positionierte sich deutlich: "Der EU-Beschränkungsvorschlag werde begrüßt, weil er „dem Schutz der Menschen dient und der Industrie lange Übergangsfristen einräumt“. Der Landkreis Rastatt sowie die Stadtkreise Baden-Baden und Mannheim hätten „leidvolle Erfahrungen mit der Stoffgruppe der PFAS machen müssen“. Alleine durch die Vermischung von Papierschlämmen mit Kompost und der Aufbringung auf Ackerflächen seien in Mittelbaden etwa 1100 Hektar Bodenfläche als belastet eingestuft.  Eine umfassende Sanierung sei schon aufgrund der Dimension des Schadensfalls nicht möglich und nicht finanzierbar. Seit dem Jahre 2013 sei zum Schutz der Bevölkerung bereits ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag durch das Land, den Landkreis, den Kommunen, den Wasserversorgern und der Landwirtschaft ausgegeben worden. Eine finanzielle Mehrbelastung werde es auch weiterhin geben. Diese Kosten würden im Wesentlichen durch die Allgemeinheit getragen, nicht jedoch durch die Produzenten und Inverkehrbringer der PFAS" (Zitat aus der PM).

Genaueres zu der zweistündigen Debatte über die PFAS-Folgen und das Pro und Contra des vorgeschlagenen EU-Verbotes der gesamten Chemikaliengruppe sind in dem folgenden Blogbeitrag auf dieser Seite zusammengefasst: PFAS-Verbot: Debatte im Bundestag.

 

Beispiele für Lösungsansätze in Mittelbaden

Die PFAS-Belastung von Böden und Gewässern in Mittelbaden ist kein Einzelfall und es wird überall nach Lösungen gesucht. Beispiele für die Bodenreinigung sind aktuell:

1) Fabeko

In Mittelbaden sucht man schon lange nach praktischen Lösungen für die belasteten Böden, dafür gibt es verschiedene Ansätze. "In dem Forschungsprojekt FABEKO untersuchen Wissenschaftler die Möglichkeit, die Chemikalien aus den Böden auszuwaschen und dann im Anschluss das Grundwasser zu reinigen", erklärt Anja Wilken von der Firma Sensatec GmbH aus Kiel, die an dem Projekt FABEKO beteiligt ist.  Dann schließen sich zwei verschiedene Reinigungsschritte an: Flotation und Elektro-Aktivkohle

Bei dem einen wird das Wasser quasi aufgeschäumt (Flotation), die PFAS-Moleküle sammeln sich im Schaum an, können dann vom restlichen Wasser abgetrennt und als PFAS-Konzentrat thermisch entsorgt werden. 

Bei dem anderen wird das vorgereinigte Wasser über spezielle elektrostimulierte Aktivkohlevliese von PFAS befreit, eine Methode, die von Forschenden des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig  entwickelt wurde. Sie ist im Prinzip eine Optimierung der üblichen PFAS-Reinigung durch Aktivkohle, wie sie zum Beispiel auch in den Wasserwerken der Region betrieben wird. „Letztendlich können wir so die PFAS aus rund 1000 Liter Wasser herausziehen und in einem Konzentrat von vier Litern sammeln“, so Robert Köhler vom UFZ.
Die aktuellen Forschungen dazu laufen noch, die Probleme sind nach wie vor die PFAS-Vorläufermoleküle.

 

2) PFClean

In einem weiteren Projekt PFClean geht man genau den entgegengesetzten Weg. „Wir wollen verhindern, dass die Chemikalien weiterhin aus dem Boden in das Grundwasser gelangen“, so Claus Haslauer, promovierter Ingenieur und Projektkoordinator. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Versuchseinrichtung zur Grundwasser- und Altlastensanierung (VEGAS) an der Universität Stuttgart.

Dafür arbeiten die Wissenschaftler mit einer Mischung auf Aktivkohlebasis (AK), die oberflächlich mit großen Spezialfahrzeugen in den belasteten, sehr sandigen  Boden eingearbeitet wird. „Wir wissen aus den vorausgehenden Untersuchungen im Labor, dass die PFAS im Boden an diese Aktivkohlemischung binden; mit der Menge, die wir hier einarbeiten, können wir theoretisch alles abdecken“, so Haslauer. Die Frage ist nur, wie lange die Chemikalien nun im Freiland an die AK-Mischung gebunden bleiben. 

 

© Text und Fotos: Patricia Klatt

 

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